Sicherheitskopie aus " http://www.chip.de/artikel/Wie-Astronomen-in-die-Zukunft-schauen_12811384.html " vom 21. Juni 2002
Hallo, ist da jemand?
Von Harald Lesch

Harald Lesch Moderator von Alpha Centauri
Sternenforscher sitzen längst nicht mehr hinter einem Fernrohr.
Harald Lesch, Moderator der Kultsendung „Alpha Centauri“, erklärt,
wie er und seine Kollegen nach E.T. suchen: vor dem Computer.
That's me!

An einem regnerischen Montag im Forschungsinstitut für Astronomie und Astrophysik in München: Die Mitarbeiter laufen wie aufgescheuchte Hühner in den Gängen herum und diskutieren aufgeregt über..., ja, worüber? Hat etwa jemand durchs Riesenteleskop etwas entdeckt, was die Astronomie in ihren Grundfesten erschüttert? Haben sich Außerirdische gemeldet? Droht ein Asteroid die Erde zu vernichten? Nein, diesmal geht es um keine astronomische Sensation. Es ist etwas viel Wichtigeres passiert: Das Computernetz ist ausgefallen! Zu normalen Zeiten, also wenn das Computernetz funktioniert, ist der Besuch in einem solchen Institut sehr langweilig. Die Rechner surren leise vor sich hin, die Forscher sitzen vor ihren Monitoren und schauen gebannt auf Texte, Zahlenreihen, Spektren und Bilder. Nimmt man aber einem Astronomen den Computer weg, ist der Teufel los: Die Forscher sind von ihren Informationsquellen abgeschnitten. Ihnen fehlt eines der wichtigsten Instrumente, um das Universum zu erforschen.

Es gibt zahlreiche kleine und große Teleskope auf der Erde und im Weltraum, die in fast allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums das Universum abhorchen. Auf unserem Planeten steht eine ganze Armee von Spiegelteleskopen mit bis zu 15 Meter Durchmesser, die das sichtbare Licht von Sternen empfangen. Von ihnen wissen wir zum Beispiel, dass sich vor rund elf Milliarden Jahren die ersten Galaxien bildeten. Im erdnahen Weltraum kreisen zudem mit Empfängern bewaffnete Satelliten, die Röntgen- und Gammastrahlung empfangen können. Alle diese Aufnahmegeräte wären aber ohne Computer völlig wertlos. Nur diese können die gewaltige Datenflut verarbeiten, die inzwischen über den Wissenschaftlern zusammenschlägt. Natürlich sind die Computer nur elektronische Sklaven, die genau das ausführen, was von Menschen erdacht und programmiert wurde. Die enorme Zunahme astronomischer Fakten ist jedoch nur deshalb möglich, weil den astronomischen Instrumenten immer leistungsfähigere Computer zur Seite stehen.

Neben den Sternebeobachtern kommen aber auch die Theoretiker ohne ihre Bit-fressenden Hilfsarbeiter nicht mehr aus. Wer zum Beispiel den Lebenslauf von Sternen oder Galaxien erforschen will, kann nicht Milliarden Jahre warten, bis etwas passiert. Hier helfen nur Simulationen. Um die Entwicklung einer Galaxis im Computer zu verfolgen, muss man mehrere Millionen Teilchen in einem sehr komplizierten Schwerkraftfeld modellieren. Sterne sind so kompliziert aufgebaut, dass die Sternentwicklungsrechner ungeheure Rechenkapazitäten benötigen, um die kniffligen Gleichungssysteme gleichzeitig lösen zu können. Da die Leistungskraft der Rechner weiter steigen wird, schauen die Astronomen hoffnungsvoll in ihre wissenschaftliche Zukunft. Gerade die Fortschritte in der Vernetzung von kleineren Einheiten zu immer größeren Netzwerken und Parallelrechnern wird uns gestatten, den Himmel tiefer und empfindlicher abzusuchen. Wir werden dabei nicht nur nach neuen astrophysikalischen Phänomenen suchen – da stehen uns, ich bin ganz sicher, noch viele Überraschungen ins Haus. Wir werden auch nach Leben im Universum Ausschau halten. Computer werden die technische Grundlage sein für die Suche nach Lebensspuren im Kosmos und vielleicht sogar nach Signalen von außerirdischen Zivilisationen, obwohl ich da etwas skeptisch bin.

Auf jeden Fall werden wir aber nach Ozon suchen! Ozon zeigt an, dass auf einem Planeten biochemische Abläufe am Werk sein müssen, die freien Sauerstoff erzeugen. Der Sauerstoff bildet durch die Ultraviolettstrahlung des Sterns, den der Planet umkreist, Ozon. Dieses Ozon beschützt das Leben vor der zerstörerischen Wirkung der UV-Strahlung und ist damit ein Indikator für mögliche Lebensformen. Ob wir dank der zu erwartenden deutlichen Erhöhung der Computerleistung auch kommunikationsbereite Zivilisationen entdecken werden, hängt weniger von uns ab als vielmehr von deren Häufigkeit. Wenn es nur wenige Planeten in der Milchstraße gibt, auf denen sich solche technisch entwickelten Zivilisationen gebildet haben, dann ist es statistisch äußerst unwahrscheinlich, dass wir sie entdecken. Die Abstände zwischen den bewohnten Planeten würden dann wahrscheinlich einige Tausend Lichtjahre betragen.

Da sich elektromagnetische Wellen auch nur mit Lichtgeschwindigkeit bewegen können, wäre vor allem auch die Kommunikation mit den E.T.s praktisch unmöglich. Eine Nachricht bräuchte immer mindestens tausend Jahre in eine Richtung. Ob aber die Antwort dann noch für die zu verstehen wäre, die sie nach tausend Jahren empfangen, ist doch ziemlich zweifelhaft. Die Computerkraft der Zukunft wird uns helfen, die Anderen zu finden, aber um mit ihnen zu kommunizieren, müssten wir schon hinfliegen. Dabei werden uns jedoch Computer nicht wirklich helfen können.

Die Gesetze der Natur lassen sich nicht austricksen. Wer mit Lichtgeschwindigkeit reist, verliert definitiv den Kontakt zum Heimatplaneten. Im Raumschiff vergeht die Zeit so langsam, dass nach wenigen Jahren Raumschiffzeit schon Jahrhunderte auf dem Heimatplaneten verstrichen sein werden – so ist das mit der Relativitätstheorie. Reisen zu den Sternen sind immer Reisen ohne Wiederkehr, da dürfen wir uns auch durch die tollsten Science-Fiction-Filme nicht täuschen lassen. Eine Möglichkeit aber bieten uns künftige Computergenerationen: Wir können sie als Botschafter ins All schicken, die ausgerüstet mit dem Wissen der Menschheit den Anderen von uns erzählen. Bei aller Euphorie über die zu erwartende Zunahme der Computerleistung darf aber eines nicht übersehen werden: Das menschliche Gehirn wird immer unser wichtigstes Werkzeug bleiben, um die Welt zu erforschen und zu verstehen, egal, um welches Fachgebiet es geht. Wissenschaftler schaffen nicht nur Wissen heran, sondern vermehren auch die Fragen. Etwa die ganz einfachen und sehr alten Fragen, die es schon seit Menschengedenken gibt: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was machen wir hier? Wer verstehen will, wie die Welt funktioniert, für den ist es unablässlich, über die eigene Wissenschaft hinauszusehen. Für uns Astronomen sind die physikalischen Regeln und Gesetze wie die Grammatik eines Textes.

Astronomie mit dem Computer zu betreiben, heißt vor allem, die Grammatik des Kosmos zu untersuchen, die Regeln zu entdecken, nach denen er funktioniert. Ohne diese Regeln, die sich mit mathematischen Gleichungen formulieren lassen, blieben unsere wissenschaftlichen Bemühungen laienhafte Fehlversuche. Interpretieren und bewerten müssen wir Menschen die Informationen aber selbst. Computer sind dazu nicht in der Lage. Sie erklären nichts, sind nicht weise und können es niemals werden. Sie haben keine Träume. Ohne den reflektierenden, träumenden und visionären Wissenschaftler würden wir die Schönheit und Einzigartigkeit des Kosmos nicht sehen. Wir hätten nur Zahlenreihen, nur Bits und Bytes. Wir wüssten nichts von Materie und Anti-Materie, ahnten nichts vom Sein und vom Nichts. Wir hätten keine Vorstellung von unserer eigenen kosmischen Dimension.

Auf dem ein oder anderen Planeten mag Leben entstehen – so wie wir das Glück hatten, auf dem Planeten Erde entstehen zu können. Nach ungefähr 4,5 Milliarden Jahren waren die Würfel zu unseren Gunsten gefallen und ein Lebewesen ging hervor, das heute dank der von ihm entwickelten elektronischen Gehilfen dem Zauber und den Geheimnissen des Universums auf der Spur ist. Ich persönlich halte es da mit Goethe, der einmal sagte: „Wir sollten das Erforschbare erforschen und das Unerforschliche still verehren.“


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